Bürokratie
Die Untersuchungen des deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) zur “bürokratischen Herrschaft”, der ihretwegen häufig als der “Vater der Organisationstheorie” bezeichnet wird, zielten darauf, das Funktionieren großer Organisationen mit dem Idealtypus der Bürokratie als formal rationalste Form der Herrschaftsausübung zu erklären. Im Gegensatz zu Frederick Taylor und Henri Fayol, deren theoretische Bemühungen vorrangig darauf zielten, Prinzipien zur Optimierung betrieblicher Führung zu formulieren, wollte Weber zeigen, dass und wie es in großen Organisationen wie kapitalistischen Unternehmen gelingt, die Handlungen der Individuen aufeinander zu beziehen, regelhaft zu verstetigen und effizient zu einem Ganzen zu verbinden.
Ausgangspunkt für Webers Arbeiten war das rasche Anwachsen großer Organisationen und die Erklärungsbedürftigkeit ihres Funktionszuwachses. Der Typus der legalen Herrschaft, der Herrschaft kraft Satzung, hat in Kleingruppen noch keine Bedeutung; man kennt die wechselseitigen Handlungsgewohnheiten und kann über zukünftiges Handeln miteinander sprechen. Erst wenn diese Uberschaubarkeit der Handlungssituation im Zuge des Wachstums der Unternehmung verloren geht, müssen andere Mechanismen für die Ordnung, die Regelmäßigkeit und Zielgerichtetheit im Handeln aller Organisationsmitglieder herangezogen werden.
Diese Mechanismen basieren auf Herrschaft (Autorität). Herrschaft bezeichnet nach Weber “die Chance..., für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden.” Wenn und soweit diese Chance langfristig besteht, wäre in der “Herrschaft” eine Erklärung für die dauerhafte - Koordination individueller Handlungen durch den Befehl (als Merkmal hierarchischer Organisationen) gegeben. Unternehmungen können dann auch als Herrschaftsverbände verstanden werden. Stabilität entsteht erst dort, wo nicht äußerliche Situationsmerkmale, sondern die Anerkennung des herrschaftlichen Anspruchs, der Legitimationsglaube, den Befehlen Geltung verschafft.
Die Frage, worauf dieser Legitimitätsglaube basieren kann, führt zur Unterscheidung verschiedener Herrschaftsformen als Kern der Weberschen Analyse. Neben der traditionellen Herrschaft und der charismatischen Herrschaft ist die legale Herrschaft für die Neuzeit die wichtigste Herrschaftsform. Bei ihr ist die Legitimation rational, weil ihre Bindung auf gesatzter Ordnung und nicht auf geltender Tradition oder der “außeralltägliche(n) Hingabe an die Heldenkraft einer Person” beruht. Gehorsam gilt nicht der Person, sondern den Regeln. Die abstrakte Regelbindung und der Glaube an die Legitimität dieser Regeln ist das besondere der legalen Herrschaft, und die bürokratische Herrschaft ist ihr reinster Typus.
Kennzeichen des Idealtypus der bürokratischen Herrschaft ist eine genaue Festlegung von Amtspflichten und präzise Abgrenzung von Autorität und - Verantwortung, ein festgelegtes System von Über- und Unterordnungen (Amtshierarchie), die nach festen, erlernbaren Regeln ablaufende Amtsführung und die Aktenmäßigkeit aller Vorgänge. In diesen und weiteren formalen Merkmalen findet die bürokratische Herrschaft ihren konkreten, für die Handlungskoordination bedeutsamen Niederschlag.
Die Erfahrung lehre, so meinte Weber, dass sie die vom Standpunkt der technischen Aufgabenbewältigung her gesehen effizienteste Form zur Organisation großbetrieblicher Aufgabenvollzüge in der Wirtschaft und darüber hinaus in Staat, Kirche, Militär darstelle. Der Kapitalismus hat danach eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Ausbildung von bürokratischen Strukturen gespielt, da er ja auf Rechenhaftigkeit, Genauigkeit, Stabilität und Effizienz angelegt sei und alle diese Eigenschaften in der Bürokratie am besten zur Geltung kämen. “Der entscheidende Grund für das Vordringen der bürokratischen Organisation war von jeher ihre rein technische Überlegenheit über jede andere Form. Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanismus verhält sich zu diesen genau wie eine Maschine zu den nicht mechanischen Arten der Gütererzeugung. Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte ... auf das Optimum gesteigert.”
Demgegenüber analysierte der amerikanische Soziologe Robert K. Merton als schwerwiegende Dysfunktionen der Bürokratie die unzureichende - Flexibilität in der Anwendung von Fähigkeiten, die Entpersönlichung von Beziehungen sowie vor allem die Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Zielen der Organisation auf die Mittel, die häufig zum Selbstzweck werden:
“1. Eine effektive Bürokratie erfordert Verläßlichkeit in der Reaktion und strikte Befolgung des Reglements.
2. Solche Treue den Regeln gegenüber führt zu ihrer Umformung in absolute Werte; sie werden nicht mehr bezogen auf vorgegebene Zielsetzungen.
3. Dies stört eine rasche Anpassung unter besonderen Bedingungen, die zur Zeit der Formulierung der allgemeinen Regeln nicht klar vorausgesehen wurden.
4. So erzeugen gerade jene Elemente, die im allgemeinen zur Effektivität führen in spezifischen Fällen Ineffektivität.”
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